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Wir beginnen unsere Serie mit einem Museum, das in vieler Hinsicht den Kern unseres Projekt berührt. Es besteht nämlich die Möglichkeit, dass die DDR vollständig musealisiert ist, dann wäre sie wirklich tot ist. Gerade das wenig bekannte Museum in Garzin, auf das wir zufällig gestoßen sind, beweist aber das Gegenteil. Hier lebt die DDR weiter und ist spürbar, wenn auch anders, als man es erwarten würde.

Es liegt etwas von ausgefallener Melancholie über diesen Ort. Von der Dorfstraße an der alten Feldsteinkirche weist ein einfaches Schild zu dem Bauernhof, in dem das private DDR-Museum von René untergebracht ist. Vom Hoftor aus sieht man über der Veranda mit ihrem Mix aus gebrauchten Möbeln eine verblichene und etwas ausgefranste DDR-Fahne hängen, der Vorgarten ist mit allerlei Findlingen und Holzskulpturen ausstaffiert.

Das Museum hat nur sonntags auf, insofern haben wir Glück gehabt. Auch wenn der „Guardian“ einen Artikel über das Museum geschrieben hat, den uns René voller Stolz zeigen wird, so haben wir von diesem Haus noch nicht gehört.

Die DDR lebt an diesem Ort gleich in mehrfacher Hinsicht weiter. Sie tut dies in erster Linie in René selbst, schon in seinem Vornamen. Es ist einer jener typischen Ost-Namen, zu denen auch Ronni, Yves und Danilo gehörten und mit denen die weite Welt in die enge Republik geholt werden sollte.

Die DDR lebt aber auch im Chaos weiter, das sich uns darbietet. Die DDR wollte die deutsche Tugend der Ordnung ausstrahlen. René will das nicht. Seine Objekte halten dagegen, so wie das Nackt-Baden in Warnemünde und auf Usedom kein Zeichen sexueller Freizügigkeit, sondern ebenfalls ein ‚chaotisches‘ Dagegenhalten war. Das Dagegenhalten ist genauso DDR wie die DDR-Ordnung, gegen die es sich auflehnt. Hier geht es um die DDR als Gesellschaft, nicht als Staat. Die ramponierte DDR-Fahne repräsentiert dies vortrefflich. Auch dies ist Leben: ein Ausfransenlassen der einstigen Symbole patriotischen Stolzes, ein nicht-zirkulär-Werden des Zirkels, ein Danebenschlagen des Hammers.

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Das eigentliche Museum ist im ausgebauten Dachgeschoss untergebracht. Der Weg dorthin führt durch den Hausflur, der vom Geruch des Mittagessens erfüllt ist, das gerade zubereitet wird, und dann eine steile Stiege hinauf. Wie auf der Veranda  wirkt auch im Innern alles ein wenig chaotisch, bis wir dann in den eigentlichen „Museumsbereich“ treten. Hier ist es immer noch sehr eng, trotz der für ein Privathaus vergleichsweise großen Fläche von 100 Quadratmetern – ungeachtet der überbordenden Fülle an Objekten ist aber sofort ein Ordnungsprinzip zu erkennen.

Und da ist sie wieder: die Ordnung. Und die Häuslichkeit. Alles atmet „Heimat“, beseelt vom Grundsatz, dass jede Kindheit heilig ist, egal wo und wie sie gelebt wird. Bei diesen Dingen stellt sich die Frage nach dem „Osten“ – es sind alle irgendwie Ost-Dinge. Wir sind im Osten des Ostens, unweit der polnischen Grenze. Hier, in den Orten der Märkischen Schweiz, sind diverse Schichten einer neuen, modernen deutschen Ordnung zu erkennen, die  nur wenig mit dem Leben von René zu tun haben scheinen. Die weite Welt ist in diesen Dörfern nicht mehr bloß in Form von Vornamen präsent. Sie begegnet einem nun auch in Form mehrsprachiger Wegweiser und Infotafeln, die in Polnisch und Englisch auf Sehenswürdigkeiten hinweisen. Trotz des Fernwehs, der aus vielen DDR-Vornamen spricht,  war die DDR „deutscher“als Westdeutschland, gerade was das nicht-internationale Ordnungsprinzip angeht. Eher unwahrscheinlich ist, dass viele Menschen hier englisch, russisch oder polnisch sprechen. Man hat es hier mit einer Sprachordnung im weitesten Sinne zu tun, und die DDR lebt und spricht als Gesellschaft in dieser Ordnung weiter.

Auf vier Räume verteilt breitet sich das Alltagsleben der späteren DDR vor uns aus. Im größten Raum finden sich im vorderen Bereich vor allem Gegenstände, die auf das öffentliche und politische Leben verweisen – Urkunden, Zeitungen, die Uniform eines „Abschnittsbevollmächtigten“ der DDR-Volkspolizei. Weiter hinten dann technische Geräte – eine halbe Wand voller mächtiger Radiotruhen, Telefone und Schallplattenspieler, Gasbügeleisen und ein Moped. Im nächsten Raum dann allerlei Küchengerätschaften und eine Sammlung originaler DDR-Konserven und -Einmachgläser. In Sorge um den Inhalt bittet uns René, die Gläser keinesfalls zu öffnen. Nebenan findet sich dann alles rund ums Badezimmer, einschließlich verblichener Zahnpastatuben und Handseife, die in inzwischen vergilbtes Papier eingewickelt ist. Eine Tür weiter schließlich das Kinderzimmer. In Regalen stapeln sich Metallbaukästen, Puppen, Brettspiele und Spielzeugautos. 

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René weiß zu jeden Gegenstand etwas zu erzählen, etwa zu der Alf-Plüschfigur im Puppenwagen: Die Figur stammt zwar aus einer US Kinderserie, dieses Exemplar aber wurde in der DDR produziert. Den Unterschied zum amerikanischen Original erkenne man daran, dass der DDR-Alf keine Zähne habe, erklärt uns René. Er würde uns gerne noch sehr viel mehr erklären. Zur Begrüßung fragt uns, ob wir zwei Stunden Zeit hätten. So lange würde die Führung durch sein kleines Reich in der Regel dauern. Der vierte Gast, der sich uns angeschlossen hat, schaut etwas erschrocken.

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René ist Ende 40, seit rund 15 Jahren trägt er die Objekte zusammen. Seinem kleinen Museum liegt dabei kein politisches Motiv zu Grunde: Zurückhaben wolle den Staat vermutlich keiner, sagt René, aber die seinerzeit produzierten Geräte würden heute immer noch funktionieren. Da sei es doch schade, sie auf dem Müll zu werfen. Es ist eine Mischung aus praktischer Sparsamkeit und Melancholie, die sich in diesen Museum manifestiert. Wenn er in sein Sammlungsreich gehe, dann fühle er sich wohl, meint René. In seinem Inneren sei er immer noch DDR-Bürger. Hier oben in seinem ausgebauten Dachgeschoss hat sich seine Heimat erhalten, die vor 30 Jahren untergegangen ist.

René betrachtet die eigene Jugend quasi als einen abgeschlossenen Sammlungsgegenstand. Das Land, in dem er aufgewachsen ist, existiert in einer Art Reservat weiter, in das er sich zurückziehen kann. Das ist eine höchst private Form der Musealisierung der DDR – ganz ohne ideologischen Überbau oder politische Konzepte. Allerdings verbindet gerade diese Zurückgezogenheit Renés DDR-Museum mit anderen Sammlungen. Die „Sammlung industrielle Gestaltung“ etwa präsentierte bis vor wenigen Jahren das DDR-Design und bettete es in die Geschichte der Gestaltung im 20. Jahrhundert ein. Dann musste sie aus der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg ausziehen und ist magaziniert, das „Museum DDR-Alltagskultur“ in Eisenhüttenstadt liegt im Wortsinne in der Peripherie und ist kaum jemandem bekannt. Der DDR-Alltag wird in Berlin bislang in erster Linie unter politischen Vorzeichen in Gedenkstätten und ehemaligen Haftanstalten verhandelt.

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